Des doden Manns Kiste

Groß wie ein Ochsenkopf, doch von anderer Form

Unterdessen redete Franz Binder weiter: „Wir haben ja auch solche Gänge unter dem Haus. Der eine, der in den Weinkeller mündet, ist heut‘ noch begehbar; der andere nimmt seit dem Umbau die Abwässer auf.“
Und der erste Mann: „Wohl, wohl! Ich weiß: bei dem Umbau, da ist man auf lauter Gewölbe gestoßen.“
Und der zweite: „Wohl, wohl! Ich kann mich sogar erinnern. Das war so im Zehnerjahr – oder noch früher.“
„Und ein Gerippe haben sie gefunden!“ sagte Herta. „Das war mit Ketten an der Mauer festgemacht.“
„Ist ja nicht wahr!“ sagte Franz Binder. „Das ist so ein Märchen. Nur ein Haufen von Rinder- und Schweineknochen war unten.“
Nur ein Haufen verrotteter Knochen war unten gewesen, dazu ein bestialischer Geruch, und dann der Schädel eines unbekannten Tieres, groß wie ein Ochsenkopf, doch von anderer Form, und in der Schädeldecke war ein Loch, so daß man in dieses Gehäuse hineinschauen konnte, und drinnen rollte etwas Schweres hin und her, das klang wie ein Würfel in einem beinernen Becher: es war ein plattgedrücktes Klümpchen Blei.
„Es war eine Flintenkugel“, erklärte Franz Binder. „Man hat den Schädel umgedreht und geschüttelt; da ist sie schließlich bei dem Loch herausgefallen. Sie war ganz plattgedrückt, flach wie ein Geldstück!“

In „Die Wolfshaut“ von Hans Lebert (München 1991), aus dem dieses Zitat stammt, geht es weder um die Bestimmung wissenschaftlich ungenau beschriebener Schädel, noch um die taphonomisch nachweisbaren Spuren von Bleikugeln, sondern um die Aufarbeitung bzw. Nicht-Aufarbeitung der Nazizeit im Nachkriegs-Österreich.